Freundeskreis für Kirchenmusik in Friedrichshafen
Kantorei an der Schlosskirche überzeugt am Karfreitag mit der Matthäus-Passion von Johann Theile in Friedrichshafen.
Passionskonzert der Kantorei an der Schlosskirche: Philipp Heizmann (rechts) glänzte in der
Matthäus-Passion von Johann Theile als Jesus. | Bild: Claudia Wörner
Mit der Matthäus-Passion aus dem Jahr 1673 von Johann Theile präsentierte die Kantorei an der Friedrichshafener Schlosskirche am Karfreitag eine musikalische Rarität aus der frühen Barockzeit. Unter Leitung von Kirchenmusikdirektor Sönke Wittnebel wurde der Chor begleitet vom Barockensemble "Cappella Santa Croce" aus Bremen sowie dem "Ensemble quidni" aus Basel.
"Das Leiden und Sterben unsers Herren Jesu' Christi nach dem heiligen Matthäo" setzte die Kantorei an der Schlosskirche mit gestochen klarer Sprache quasi als Überschrift über das zweistündige Passionskonzert. Im Wechselspiel mit Tenor Benedikt Nawrath als Evangelist und Bassist Philipp Heizmann als Jesus führten die Sänger – einige von ihnen auch solistisch – entlang des Leidenswegs vom Verrat durch Judas bis zum Tod am Kreuz. Dabei transportierten sie in der oratorischen Passion Schadenfreude und Spott ebenso wie das Erschrecken und die Erkenntnis: "Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!"
Dazwischen setzte Wittnebel als sogenannte Intermedien mehrere sechsstimmige „Responsorien für die Karwochen“ aus dem Jahr 1611 von Carlo Gesualdo di Venosa. Mit ihnen gab der Chor den Zuhörern auf höchst gelungene Art und Weise Gelegenheit, das Gehörte zu reflektieren und einen Moment lang innezuhalten. Aus einem Guss mit der notwendigen Transparenz und einer großen Leichtigkeit folgten die Sängerinnen und Sänger Wittnebels einfühlsamem Dirigat der fast modern anmutenden Musik.
Die Nachbauten historischer Musikinstrumente sorgten mit ihrer mitteltönigen Stimmung, bei der die Abstände zwischen den einzelnen Tönen unterschiedlich groß sind, für ganz besondere Klangerlebnisse. Ihr besonderer Charakter zeigte sich gleich zu Beginn bei zwei Motetten aus "Cantiones octo vocum" von Hans Leo Hassler. Auf Applaus verzichteten die Musiker am Karfreitag. Dafür läuteten die Glocken der Schlosskirche und setzten einen Schlusspunkt unter die kontemplative Stimmung, in die das Passionskonzert die Zuhörer versetzte.
Matthäus-Passion von Johann Theile steht im Mittelpunkt des Konzerts in der Schlosskirche
Passionskonzert der Kantorei an der Schlosskirche unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Sönke Wittnebel: Es singt Bassbariton Philipp Heizmann, es spielen die Bremer „Cappella santa croce“ und das Basler Ensemble „quidni“, an der Truhenorgel Jonathan Hiese. | Bild: Helmut Voith
FRIEDRICHSHAFEN - Mit JohannesTheiles Matthäus-Passion von 1673 hat die Kantorei an der Schlosskirche unter Kirchenmusikdirektor Sönke Wittnebel am Nachmittag des Karfreitags ein tief beeindruckendes Passionskonzert geboten. Der Gesang und das authentische Spiel der auf historischen Instrumenten begleitenden Musiker gingen unter die Haut, denn bei der musikalischen Versenkung in die Passion Christi geht es um weit mehr als um den musikalischen Genuss.
„Bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuz!“ Es ist ein zentraler Satz, den das Volk dem Gekreuzigten hämisch entgegenruft, eine außergewöhnliche Forderung, von Hass und Hohn wie von Sensationsgier bestimmt. Dagegen steht die aufrichtige Klage: „Ach, der Marter, ach, der Pein, muss man Jesum so verhöhnen.“ In kultiviertem fünfstimmigem Gesang übernahmen die Sängerinnen und Sänger der Kantorei in dieser frühbarocken Passion die Stimmen des Volkes, ob es lyrisch klagt oder expressiv in dramatischen Zorn, in gehässigen Spott ausbricht. Der Chor hat die Zuhörer hineingenommen in die Szenen, hat die Emotionen lebendig werden lassen, den Schmerz und zuletzt die tiefe Dankbarkeit für die Erlösungstat Christi, das zentrale Anliegen der Passion.
Ernst war die instrumentale Hinführung zu Theiles Passion, organisch das Ineinander von Chor und Solisten: Benedikt Nawrath als Evangelist, der in guter Artikulation durch das Geschehen führte, Philipp Heizmann als Christus, der im Vibrato die innere Erregung verriet, und die „Soliloquenten“ Pilatus, Kaiphas, Petrus und Judas, die aus dem Chor heraus besetzt waren wie die drei Frauen, die die innigen Arias sangen – keine professionellen Stimmen und gerade dadurch besonders authentisch und berührend. Die innere Erregung war spürbar, übertrug sich auf die Zuhörer, die das Geschehen genau kennen und doch jedes Mal von Neuem gepackt werden wollen.
Der Tradition folgend, hat Wittnebel wie schon vor elf Jahren fünf ältere Karfreitags-Responsorien von Carlo Gesualdo di Venosa einfließen lassen, noch im polyphonen Stil und betörend schön in ihrer schmerzli- chen Poesie, die die besondere Klangkultur der Kantorei ganz besonders innig erleben ließ. wollen.
Ein neues, authentisches Hörerlebnis brachte diesmal das Zusammenspiel zweier Barockensembles. Zur „Cappella santa croce“ aus Bremen mit den silbernen Klängen der Violinen, den warmen Klängen von Gamben und Barockharfe, den gezupften Theorben (Großlauten) und gestrichenen Violonen, Vorgängern des Kontrabasses, kamen die vier Dulziane des Ensemble „quidni“ aus Basel: Zu Recht leitet sich der Name der Vorläufer des Barockfagotts vom lateinischen „dulcis“ (süß) ab, denn lieblich ist ihr Klang, und besonders der flexible Bass- und der Kontrabass-Dulzian unterstrichen das schmerzhafte Dunkel der Passion. Mit zwei Motetten von Hans Leo Hassler, ausgeführt mit zwei Instrumentalchören, haben die Musiker in die frühe Musik hineingeführt. Mit weit ausladenden Armen, fast möchte man sagen Schwingen, dirigierte Kantor Wittnebel die feierliche Musik.
An die Truhenorgel kehrte zur Freude aller, die sein Hineinwachsen ins Orgelspiel miterlebt haben, Jonathan Hiese als gereifter Musiker zurück. Nach Ablegen des B-Examens in Tübingen studiert er noch historische Kirchenmusik in Bremen, wo er seit 2018 Kantor der Bremischen Evangelischen Kirche ist. Gespannt sein darf man auch auf den weiteren Weg von Wittnebels Schüler Sven Hanagarth, der im Herbst sein Kirchenmusikstudium in Mainz aufgenommen, vor wenigen Tagen in Meckenbeuren sein erstes Orgelkonzert gegeben und hier als Petrus mitgesungen hat.