„Zeugnis für die Existenz des Heiligen Geistes“

Ergreifender Abschied von Kantor Sönke Wittnebel und seiner Frau Gabriele Friedrichshafen

von Christel Voith,  Schwäbische Zeitung, 3. Mai 2024


Eine übervolle Kirche, eine um zahlreiche Gastsängerinnen und Gastsänger erweiterte Kantorei, die aus der Kantorei heraus­gewachsenen Solisten Greta Hartleb und Julius Feirle, ein großes Kantatenorchester mit Musikern, die ihm zu Ehren zusammenkamen - sie alle haben am Sonntagmorgen die offizielle Entpflichtung von Kirchen­musik­direktor Sönke Wittnebel begleitet - mit einer ergreifenden Musik, die Pfarrer Rüdiger Jeno einen guten Vorgeschmack der Musik, die uns im Himmel erwartet, nannte.

Noch einmal spielte Kantor Sönke Wittnebel auf der Orgel, deren Erneuerung er mit viel Herzblut vorangetrieben hatte.
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Noch einmal stand er am Pult und dirigierte Johann Sebastian Bachs Kantate BWV 172 „Erschallet, ihr Lieder“, ein großes Werk, dessen Aufführung eindrucksvoll erleben ließ, was Wittnebel in knapp 32 Jahren für die Kirchenmusik in der Schlosskirche aufgebaut und geschaffen hat. Chor, Musiker und Gemeinde haben die Choräle mitgesungen.

Ein Lobpreis auf die Kirchenmusik war auch Pfarrer Rüdiger Jenos Predigt: „Selig zu preisen, wer mit so viel Hingabe musiziert.“ Lieder des Glaubens seien Lieder der Freiheit und Gerechtigkeit, der Versöhnung und des Friedens.

„Inmitten der Musizierenden wird Sönke Wittnebel entpflichtet“, leitete Codekan Reimar Krauß die Entpflichtung ein, aber der reiche Segen seines Wirkens werde bleiben. Mit Sönke Wittnebel rief Krauß auch die ebenso lang ehrenamtlich mithelfende Frau Gabriele an den Altar: „Dass du deinen Dienst so gut erfüllen konntest, dazu gehört auch deine Frau Gabriele.“ Beide hat er nach der Entpflichtung gesegnet, beide erhielten zum Dank für ihr Wirken schier endlosen Applaus.

Das Lied „Schalom, schalom, der Herr segne uns“ nahm den Segen auf, noch einmal erklang der Anfangschor „Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten!“, ehe Bürgermeister Dieter Stauber in Vertretung von Oberbürgermeister Brand den Gruß und Dank der Stadt überbrachte. Mit Begeisterung, Ideen, Kraft, Mut und Durchhaltevermögen habe Wittnebel einen lebendigen klingenden Organismus geschaffen, der die Menschen bereichere: „Das ist Kulturarbeit, das ist Bildungsarbeit, das ist im besten Sinn soziale Arbeit.“ Umso schöner, dass er so lang habe mit seiner Frau zusammenarbeiten können.

Vollends ergriffen war der Geehrte, als der 1999 von ihm gegründete Gospelchor die Seitengänge füllte und „You Raise Me Up“ sang. Auch Chorsprecherin Michaela Hayen konnte die Tränen kaum zurückhalten, als sie für 25 wundervolle Jahre mit viel, viel Herz dankte.

Bezirkskantor Michael Bender aus Ravensburg hatte seinen Rückblick und Dank für die gemeinsamen Jahre in ein Lied gefasst, das er am Flügel sang, und auch Landeskirchenmusikdirektor Matthias Hanke sang Wittnebel zu Ehren ein umgetextetes Lied. Ein Vorbild in der Kollegenschaft und ein lebendiges Zeugnis für die Existenz des Heiligen Geistes sei Wittnebel stets gewesen.

Schmunzelnd überreichte Co-Dekan Krauß ihm zuletzt eine Urkunde, die ihn zum weiteren Spiel an seiner Orgel berechtigte. Überwältigt konnte Wittnebel nur noch seinen Dank an alle Mitwirkenden aussprechen, ehe es draußen bei Sekt und Häppchen Gelegenheit zu Gesprächen gab.


 

Kirchenmusikdirektor verabschiedet sich mit großem Wunsch in den Ruhestand

Mehr als 30 Jahre war Sönke Wittnebel als Kantor und Organist an der Schlosskirche tätig. Besonders wichtig war ihm die Chorarbeit. Mit welchem Wunsch sich der Kirchenmusikdirektor nun in den Ruhestand verabschiedet.

Von Corinna Raupach, Südkurier 26. April 2024

„Dankbarkeit“: Das fällt Sönke Wittnebel als Erstes ein, wenn er auf seine Zeit in Friedrichshafen blickt. Mehr als 30 Jahre war er als Kantor und Organist der Schlosskirche tätig. „Das ist der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann. Wenn ich mich noch einmal entscheiden müsste, würde ich ihn noch einmal wählen“, sagt er wenige Tage vor Beginn seines Ruhestands. Seine Arbeit sei nicht nur mit tiefem Sinn behaftet gewesen, sondern habe ihm auch viel Entscheidungsfreiheit ermöglicht.

Als er seine Stelle 1992 antrat, gab es neben der Kantorei einen Jugendchor mit drei Mitgliedern. Sönke Wittnebel baute die Chorarbeit von Grund neu auf und betrieb konsequente Nachwuchsförderung. Heute gibt es den Kinderchor, in dem die Kleinen ab drei Jahren mitsingen. Die Fünf- bis Sechsjährigen wechseln in die Mädchen- und Jungenkantorei. Die hatte Wittnebel zunächst getrennt: „Mir ist aufgefallen, dass in den Chören die Mädchen immer ganz vorn sind, ich wollte auch etwas für die Jungen anbieten.“ Immer häufiger hatten die Jungen aber nur zu den Mädchenterminen Zeit und umgekehrt, sodass sie sich schließlich wieder mischten. Die Älteren singen im Jugendchor, im Gospelchor Almost Heaven und in der Kantorei. „Die Kinder- und Jugendchöre sind wie eine Saat. Viele, die aus der Stadt weggehen, suchen sich dort einen Chor und singen weiter“, sagt Wittnebel.

Chorproben bilden einen Höhepunkt

Die Arbeit mit den Chören ist sein Hauptanliegen gewesen. „Ich komme eigentlich immer froh und erleichtert aus der Probe“, beschreibt er. „Es ist eine Situation vom Chaos zum Kosmos, wenn ich merke, es findet sich und wir haben so einen Flow-Effekt.“ Auch viele Chormitglieder haben ihm immer wieder versichert, dass die Probe der Höhepunkt ihrer Woche ist. „Mir war es wichtig, das soziale Miteinander ebenso zu fördern wie die künstlerische Entwicklung und schließlich das Teilen der Musik in Gottesdiensten und Konzerten“, sagt Wittnebel.

Er führte nicht nur die Chöre zu einer musikalischen Qualität, die stets für volle Konzerte sorgte. Er gab auch Nachwuchssängern eine Bühne und bildete zukünftige Organisten im Kirchenkreis aus. 40 Schülern hat er die Orgel nahegebracht. „Es ist mir eine große Freude, dass drei junge Leute, die ich ausgebildet habe, den gleichen Weg einschlagen wie ich. Zwei sind bereits als Kirchenmusiker tätig, einer studiert noch“, sagt Wittnebel.

Unbekannte Stücke und Selbstläufer

Mit der Kantorei hat er zahlreiche selten gesungene Werke aufgeführt. „Wir haben fast alle Werke von Heinrich von Herzogenberg aufgeführt, den kennen viele gar nicht.“ Er mutete Chor und Publikum auch zeitgenössische Werke zu, die Jesus-Passion von Oskar Gottlieb Blarr zum Beispiel und die Missa Profana von Heinz Werner Zimmermann. „Darüber bin ich besonders froh, dass das mit dem Chor möglich war und dass viele Menschen auch diese Konzerte hören wollten“, sagt er. Andere Stücke wie das Requiem von Andrew Lloyd Webber seien Selbstläufer gewesen.

Orgel ließ ihn bei Hochzeit im Stich

In den letzten Jahren seiner Tätigkeit setzte sich Sönke Wittnebel für die Renovierung und Erweiterung der Schlosskirchenorgel ein. „Ausgerechnet bei einer Trauung ließ mich die Orgel im Stich, sie funktionierte einfach nicht mehr“, erinnert er sich an den Anlass. Durch Spenden, Benefizkonzerte, Pfeifenpatenschaften und Zuschüsse kamen 700.000 Euro zusammen. Die alte Weigle-Orgel wurde gereinigt und saniert, der Spieltisch modernisiert und weitere Teilwerke ergänzt. „So richtig durchstarten mit dem Instrument kann jetzt mein Nachfolger.“

Zeit für den Garten, zum Lesen und für die Familie

Vieles und viele wird er vermissen. Doch er blickt auch mit Freude auf die Zeit, die vor ihm liegt: „Ich bin erleichtert, weil viel Organisatorisches von meiner Frau und mir abfällt.“ Seine Frau habe während seiner Tätigkeit ehrenamtlich viel im Hintergrund gearbeitet. „Wir sind mit der Kirchenmusik aufgestanden und zu Bett gegangen.“ Er wird weiter Konzerte und Workshops geben – weit genug weg, um seinem Nachfolger nicht in die Quere zu kommen.

Einen großen Wunsch nimmt er mit: „Für die Kirche und für die Gesellschaft wünsche ich mir, dass unsere Kultur am Leben bleibt.“ Damit meint er nicht nur die abendländischen Errungenschaften in Musik und Kunst. „Ich hoffe, dass wir uns auch die Codices erhalten, wie wir miteinander umgehen, zum Beispiel die Wertschätzung von Frauen.“ Diese Werte und Maßstäbe seien es wert, für sie einzutreten trotz der Herausforderungen von Internet, Politik und Umwelt.

Zur Person:   Sönke Wittnebel


 

Sag zum Abschied musikalisch "Servus"

Am Sonntag wird Sönke Wittnebel als Kantor der Schlosskirche verabschiedet

Von Harald Ruppert  Schwäbische Zeitung, Friedrichshafen

Seit fast 32 Jahren ist Sönke Wittnebel Kantor der Schlosskirche. Nun wird er in den Ruhestand verabschiedet: Am Sonntag, 28. April, um 9.30 Uhr im Rahmen eines Festgottesdienstes. Wenn dabei die Bach-Kantate „Erschallet, ihr Lieder“ erklingt, wird Wittnebel ein letztes Mal als Dirigent „seiner“ Kantorei am Pult stehen. „Dieser Tag ist für mich noch ein riesiger Berg“, sagt Wittnebel. Nach einer kleinen Pause fügt er an: „Wegen der Gefühle, die damit zusammenhängen.“

Der Abschied, vor dem er steht, wird von tiefer Dankbarkeit getragen. Ab 1992 hat der 1958 geborene Schleswig-Holsteiner die evangelische Kirchenmusik auf jenen hohen Rang gehoben, den sie in Friedrichshafen heute einnimmt. Die eigentliche Kantorei gab es bereits, als Wittnebel seine Stelle antrat.

Sonst aber keinen der Chöre, die er seither aufgebaut hat: den Kinderchor für die Kleinsten ab drei Jahren; die Jungen- und Mädchenkantorei, in den die Kinder wechseln, wenn sie fünf bis sechs Jahre alt sind; schließlich die Jugendkantorei und den Gospelchor „Almost Heaven“.

Die Fülle der Aufgaben, die Wittnebel teils über Gebühr wahrnahm, war nur mit der Hilfe seiner Ehefrau Gabriele zu bewältigen. „Sie hat über Jahrzehnte ehrenamtlich eine ganze Stelle ausgefüllt“, sagt Sönke Wittnebel.

Manuel Mader, der im September Wittnebels Nachfolge als Kantor antritt, hat bereits zugesagt, sämtliche Chöre übernehmen zu wollen. Überdies ist der 31-Jährige auch bereit, Wittnebel als Vorsitzender des Vereins „Freundeskreis für evangelische Kirchenmusik“ zu folgen; als Kandidat steht er jedenfalls bereit. Wittnebel hat den Freundeskreis 1995 initiiert. „Das war eine der besten Ideen, die ich je hatte“, sagt er.

Der Freundeskreis mit seinen zeitweise bis zu 300 Mitgliedern signalisiert, dass die geistliche Musik in der Schlosskirche nicht nur von den Mitgliedern der Schlosskirche allein getragen wird. Außerdem senkt der Freundeskreis durch finanzielle Zuwendungen das Risiko, die konzertante Aufführungen in der Schlosskirche mit sich bringen: Orchester und Gesangssolisten wollen nun einmal bezahlt werden.

Der „Freundeskreis“ gab Sönke Wittnebel den Freiraum, nicht nur wohlfeile populäre Werke aufzuführen, sondern auch experimentelle und riskante Wege zu gehen. Zum Beispiel hat er mit der Kantorei die „Erntefeier“ von Heinrich von Herzogenberg (1843-1900) aufgeführt. Das Riesenwerk eines Komponisten aus der Region, der „im Dornröschenschlaf lag“, wie Wittnebel sagt - und somit keine volle Schlosskirche garantierte. Sönke Wittnebel war es zudem immer auch wichtig, zeitgenössische Werke aufzuführen, wie die „Missa Profana“ von Heinz-Werner Zimmermann oder die „Jesus-Passion“ von Johann Gottlieb Blarr. „Man betritt ja in emotionaler, theologischer und musikgeschichtlicher Hinsicht neue Räume, wenn man solche Kompositionen aufführt“, sagt er. „Alles andere hätte ich auch als total langweilig empfunden.“

Trotz der Vielzahl der aufgeführten Werke in diesen einunddreißigeinhalb Jahren, hat Sönke Wittnebel noch offene Wünsche auf seiner Liste. „Die 'Marienvesper' von Monteverdi hätte ich gern gemacht. Und Mendelssohns Oratorien 'Elias' und 'Paulus'. Aber, meine Güte“, fügt er an: „Es geht auch ohne!“ Zumal Wittnebel seine Aufgabe als Kantor darin sieht, sich nicht nur um die Musik zu kümmern, sondern auch um die Menschen. Das beginnt bei seiner Funktion als Mittler zwischen Gott und der Gemeinde: „Ich habe immer überlegt, was ich tun muss, um nicht im Weg zu sein - bei der Begegnung zwischen den Musizierenden und dem Publikum auf der einen Seite, und Gott auf der anderen.“ Geistliche Musik ist ein Instrument, um Gemeinschaft zwischen Gott und der Gemeinde zu schaffen; und diese spirituelle Grundlage hat Sönke Wittnebels Tätigkeit als Dirigent und sein Orgelspiel im Rahmen der Gottesdienste auch immer geprägt.

Überdies wollte er den Mitgliedern der Chöre über die Musik und die Begegnung miteinander ein Zuhause bieten. „In den Chören haben sich viele Menschen schätzen und sogar lieben gelernt“, erzählt Wittnebel. „Es sind auch vielfach Leute in die evangelische Kirche eingetreten, weil ihnen die Arbeit in den Chören stimmig erschienen ist.“

Vom altmodischen Begriff der „Lauterkeit“ wird Sönke Wittnebel treffend beschrieben. Wer ihn kennt, schildert ihn als fair, ehrlich und offen. Umstandslos sagt er über den bevorstehenden Lebensabschnitt: „Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, diese Vollbremsung in den Ruhestand gut hinzukriegen.“ Dafür auch „an sich arbeiten“ zu müssen, gibt er zu.

Trotzdem soll sein Abschied als Kantor ein wirklicher Abschied sein. „Zum taktvollen Verhalten gehört, dass ich mich musikalisch jetzt ganz raushalte“, sagt er zu seiner künftigen Rolle in der Schlosskirche. Darüber hinaus will Sönke Wittnebel mit seinen musikalischen Plänen einen gehörigen Abstand zu Friedrichshafen wahren. Projekte in Konstanz etwa hat er schon im Auge. „Zwischen Friedrichshafen und Konstanz liegt ja auch das Meer“, meint er mit einem Lachen.

Freilich scheidet mit Sönke Wittnebel auch der größte Kenner der neuen digitalem Schlosskirchen-Orgel. In ihre Konzeption war er intensivst mit eingebunden. Daher hat er einen großen Wunsch: „dass mir die Kirchengemeinde auch weiterhin die Möglichkeit bietet, auf der Orgel zu üben. Und nur für mich darauf die Werke zu spielen, die ich immer schon mal spielen wollte. Das wäre eine schöne Perspektive.“

 


Die nächsten Veranstaltungen


KMD Sönke Wittnebel hat altersbedingt seine berufliche Aufgaben beendet. Sein Nachfolger, Kantor Manual Mader, wird seine Arbeit im Herbst beginnen.
Wir bitten Sie um Verständnis, dass in der Interimszeit keine Veranstaltungen vom Kantorat an der Schlosskirche angeboten werden können.


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