Ein wiedererwachter Chor und strahlende Solisten

Rossinis „Petite Messe Solennelle“ begeistert in der Schlosskirche als Gesamtkunstwerk

Von Christel Voith
Schwäbische Zeitung Friedrichshafen, 25. Oktober 2022


Mit Gioachino Rossinis Belcanto-Messe „Petite Messe Solennelle“ hat sich am Samstagabend auch die Kantorei an der Schlosskirche nach langer Corona-Pause zurückgemeldet. Zugleich hat Codekan Reimar Krauß den freudigen Anlass genutzt, um das 30-jährige segensreiche Wirken seines Kantors, Musikdirektor Sönke Wittnebel, und seiner Frau Gabriele zu würdigen.

Jahrzehntelang schon hatte Rossini sein Opernschaffen beendet, als der 71-Jährige für Comte Michel-Frédéric Pillet-Will zur Einweihung von dessen Hauskapelle in Paris diese Messe schuf, die sein sakrales Werk krönte.

Klassische Klarheit und reiche Melodik prägen das Werk, ein heller Klangraum mit Chören, die von innigstem Piano in dramatischen Steigerungen zu kraftvollem Fortissimo aufblühen, mit Soli, die in wunderbaren Koloraturen den Opernkomponisten verraten. Manchen seiner Zeitgenossen war Rossinis „Alterssünde“ zu weltlich, zu sinnlich, zu spielerisch für sakrale Musik, für ihn war das kein Widerspruch: Warum sollte Gesang zu Ehren Gottes nicht opernhaft klingen?

„Klein“ nannte er die Messe, weil sie nur Klavier und Harmonium zur Begleitung vorsah, damit die Stimmen umso mehr strahlen konnten. Während Ulrich Murtfeld - wie bei der Aufführung von 2011 - am Klavier die Singstimmen einfühlsam begleitete, setzte Wittnebel an die Stelle des Harmoniums die neue Orgel. Vom neuen Spieltisch aus bettete Hans Fischer den Chor sachte ein in den Klang der Orgelteilwerke um den Chorraum - ein sehr gelungenes Experiment.

Ebenfalls mutig war es, die Solostimmen ganz jungen Sängern anzuvertrauen: Bariton Paul Frey, dem Sohn von Pfarrer Gottfried Claß, der in der Schlosskirche schon wiederholt zu hören war, und zwei Mitstudenten aus Freiburg, der Altistin Mareike Zorko und dem Tenor Timm Schuhmacher. Alle drei wurden ihrem Part bestens gerecht, ob in Soloarien oder im Quartett. Das höchste Lob aber gebührt der 18-jährigen Greta Hartleb, die mit ihrem hellen Sopran schon früh hervorgetreten war, diesmal aber geradezu über sich hinausgewachsen ist. Eine Freude sei es Wittnebel gewesen, mit ihr die Sopranarien einzustudieren, die sie so sicher und anrührend gestaltete bis hin zur Solo-Arie „O salutaris hostia“, in der das innige Flehen ebenso zum Tragen kam wie das tonmalerische Anrennen der bedrängenden Feinde. Man darf Greta für ihr angestrebtes Gesangstudium viel Glück wünschen.

Neben der Belcanto-Schönheit der Soli lebt das Werk von seinen Chören. In wellenartig an- und abschwellendem Gesang setzte das Kyrie ein, in großer Höhe das dynamische Gloria, das mit schwingendem Amen endete.

Auch die Kantorei hat in der Corona-Zeit Sängerinnen und Sänger verloren, und zuletzt hat es noch eine Reihe von Krankmeldungen gegeben. So war noch nicht ganz die völlig homogene alte Kantorei, aber ein sehr glücklicher Neuanfang zu erleben. Bis zum Credo hatten sich die Sängerinnen und Sänger freigesungen, wunderbar innig kam das „Et incarnatus est“, wie ein sanftes Wiegenlied das „Benedictus“ des Chors - hier entstand wieder der alte Schönklang, die Pianokultur, die man an der Kantorei so liebt. Insgesamt ein erhebendes, anrührendes Gesamtkunstwerk, das Chor, Solisten und Musiker unter Wittnebels Leitung geleistet haben.

Wittnebel gebührte zuletzt der Dank von Codekan Raimar Krauß für 30 unermüdliche Jahre, für den großen künstlerischen Spielraum, den er den Zuhörern eröffnet hat. Im Jahr 1995 hat er den Freundeskreis für Kirchenmusik in der evangelischen Gesamtkirchengemeinde gegründet, der solch große Aufführungen möglich macht, mit seiner Aufbauarbeit vom Kinderchor an führt Wittnebel junge Menschen an die Musik und ebnet immer wieder großen Talenten den Weg. Herzlicher Applaus dankte ihm und Frau Gabriele.