Konzertkritik der Schwäbischen Zeitung vom 10.11.2013:

Ich will frei sein!

Mädchen- und Jungenkantorei der Schlosskirchesingen das Musical vom verlorenen Sohn

Von Helmut Voith

Bis aus Freiburg sind am Samstag die Gäste in die volle Schlosskirche gekommen, um das Kindermusical „Der verlorene Sohn“ zu erleben. Unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Sönke Wittnebel boten Mädchen- und Jungenkantorei wieder einmal ein zu Herzen gehendes Erlebnis. Ein großes Tuch war quer über den Altarraum gespannt, darauf leuchtete in goldenem Sonnenlicht eine orientalische Stadt. Davor standen in farbenfrohen Kostümen die jungen Sängerinnen und Sänger. Wer aus dem Chor heraustrat, kam vorne ins Licht. Der Chor bildete eine geschlossene Einheit. Es ging hier vor allem um die Ensembleleistung, um die Möglichkeit, eine kurze Solopartie zu übernehmen. Und die bot das Musical mit seinen 15 teils rockig-dramatischen Songs in Hülle und Fülle. Während der Kantor dirigierte, „dirigierte“ von der Empore aus die Regie, machte den Kindern ihre lebendigen Bewegungen vor – so wanderten die Blicke der Erwachsenen immer wieder auch nach hinten.

Während fast auf den Tag genau vor neun Jahren Kantorin Marita Hasenmüller mit ihren Kinderchören in der katholischen Gemeinde St. Columban das Musical von Andreas Müksch und Barbara Schatz aufführte, hat Wittnebel das Musical gewählt, das der Schweizer Adonia-Gründer Markus Hottiger zusammen mit Markus Heusser, dem Leiter von Adonia Deutschland, geschrieben hat. Auch dies ein Kinder-Musical, das spritzige Songs mit kleinen Spielszenen verbindet und auch ruhigere Momente zulässt. Der verlorene Sohn wirkt keineswegs unsympathisch, wenn er am Anfang in heutiger Sprache so richtig losmotzt, weil er sich vor allem von seinem großen Bruder eingeengt fühlt – das konnten die jungen Zuhörer bestens mitfühlen! Jeder begreift, dass der Jüngere weg will, etwas erleben: „Ich will frei sein.“ Doch die vermeintliche Retterin, der er großzügig ein Goldstück schenkt, erweist sich als Hure, die ihn gleich zu einer Party abschleppt. Beim Zocken verliert er sehr schnell all sein Geld.

Die Frage, wie tief ein Mensch fallen kann, steht zum Greifen nah im Raum. Eingängige Melodien vermitteln seine seelische Not. Doch der verlorene Sohn schafft den Ausstieg aus dem Elend, er überwindet seinen Stolz und kehrt heim. Packend, wie jetzt der ältere Bruder so richtig sauer ist: „Abserviert!“ All die Jahre hat er geschuftet und der andere bekommt eine Super-Party zur Heimkehr. Das Christentum ist gerade auch für die Braven nicht immer leicht zu verdauen. In dieser Aufführung, zu der vor und hinter den Kulissen so viele beigetragen haben, kam das deutlich herüber und berührte.

 

Konzertkritik des Südkurier vom 11.11.2013:

Sehnsucht nach dem prallen Leben

Mädchen- und Jungenkantorei begeistert in der Schlosskirche mit dem Musical vom verlorenen Sohn
von Andrea Büchner, Bild: Rüdiger Schall

Als der Vater seinen verloren geglaubten jüngeren Sohn endlich wieder glücklich in seine Arme schließt, freuen sich alle mit ihm. Nur einer nicht: sein älterer Sohn. 36 Kinder und Jugendliche der Mädchen- und Jungenkantorei unter Leitung von Kirchenmusikdirektor Sönke Wittnebel begeisterten am Samstag in der Schlosskirche Friedrichshafen mit dem Jugendmusical „Der verlorene Sohn“ von Markus Hottiger und Markus Heusser ihr Publikum.

Die zugrunde liegende biblische Geschichte erzählt von einem jungen Mann, der sich vom Vater sein Erbe auszahlen lässt und in der Ferne sein Glück sucht. Nur eine alte verstaubte Geschichte aus der Bibel? Wohl kaum! Vor allem Jugendlichen dürfte der Gedanke nicht fremd sein: Endlich raus aus der familiären Enge, hinein ins pralle Leben voller Freiheit, Freude und Genuss. „Mir reicht’s! Ich hau’ ab.“ Auf der Bühne schreit der Sohn seine Sehnsucht nach Freiheit laut heraus. Sein Vater lässt ihn ziehen, schweren Herzens zwar, aber wohl wissend, dass er seinen Sohn nicht zum Bleiben zwingen kann.

Stattdessen sammelt dieser nun seine eigenen Erfahrungen, sei es mit der charmanten Bettlerin oder der aufreizenden Tänzerin, die ihn mit ihrer Verführungskunst erfolgreich umgarnen. Beim Pokerspiel verliert er sein letztes Geld und mit ihm seine vermeintlichen Freunde. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung machen sich breit, doch der junge Mann ist noch nicht bereit, seinen Stolz über Bord zu werfen.

Flurina Hüppop (14) singt und spielt die umfangreiche Rolle des verlorenen Sohnes hervorragend, verleiht der innerlichen Zerrissenheit, der Stimmung und dem Befinden des jungen Mannes schauspielerisch überzeugend Ausdruck. Doch es ist das gelungene Zusammenspiel aller Beteiligten, das diese Musicalaufführung zu einem großartigen Erlebnis werden lässt. Der Chor singt wie mit einer Stimme die inhaltlich gehaltvollen Texte kräftig und klar. Die Lieder widerspiegeln – in Text und Melodie – meist die jeweilige Lebenssituation des jungen Mannes, reichen von rebellisch tatkräftig bis hoffnungslos niedergeschlagen.„Ich geh’ heim“ singt der Chor forsch und froh.

Indem der Sohn endlich seinen Stolz über Bord geworfen hat, kann er es kaum erwarten, nach Hause zurückzukehren, wo ihn sein Vater unerwartet herzlich empfängt. „Vater, was bist du für ein Vater?“ klingt gleichsam wie ein Gebet. Nicht nur an dieser Stelle strahlt neben dem leiblichen Vater der Gedanke an Gott, den geistlichen Vater, auf. Andere Lieder zeugen von der Freude des Vaters („Was für ein Fest“) oder aber von der Enttäuschung („Abserviert“) und dem Neid des älteren Sohnes („Wie lang?“), dem zu Ehren der Vater nie ein Fest ausrichtete und ein Kalb schlachtete.

Zahlreiche Kinder und Jugendliche treten mit einzelnen Strophen oder Liedern solistisch hervor. In unterschiedlichen Rollen entfalten sie zudem ihr schauspielerisches Talent. Die Bäuerin, bei der der junge Mann hungrig um einen Teller Suppe bittet, weist ihn barsch ab und verjagt ihn mit einem Besen. Die Knechte eines anderen Bauern behandeln ihn fies und werden handgreiflich. Diese derbe Szene kommt locker und lebensecht daher. Nicht zu vergessen die Helfer im Hintergrund. Wirkte Miriam Klann (14) bei bisherigen Aufführungen aktiv auf der Bühne mit, sorgte sie diesmal als Visagistin nicht nur bei Tänzerin und Bettlerin für ein Rollengerechtes Outfit.