Konzertkritik des Südkurier vom 12.11.2012:

Blick zum Himmel und Linsensuppe für alle
Kinder und Jugendliche unter Leitung von Sönke Wittnebel begeistern mit dem Musical „Jakob“ in der Schlosskirche
von Andrea Büchner

Esau hat angefangen!“ beschuldigt Jakob seinen älteren Bruder. Wer kennt das nicht? Geschwister streiten und keiner will's gewesen sein. Wenn Mutter Rebekka energisch dazwischen geht und Vater Isaak seinen Sprösslingen gern mal so richtig die Ohren langzieht, sind die Zuschauer schon längst mittendrin im Geschehen. Bruderzwist ist so alt wie die Menschheit selbst und die Szene heute ebenso aktuell wie damals, als sie sich ereignete.

Mag so manche Bibel auch in irgendeinem Bücherregal ungelesen verstauben: Verdient hat es das „Buch der Bücher“ nicht. Das bewies einmal mehr die Aufführung von Kinderchor, Mädchen- und Jungenkantorei in der Friedrichshafener Schlosskirche am vergangenen Samstag. Unter Leitung von Kirchenmusikdirektor Sönke Wittnebel brachten die knapp 60 Kinder und Jugendlichen das Musical „Jakob“ schwungvoll und lebendig auf die Bühne. Dabei reichte die Altersspanne der Akteure vom vierjährigen Anton bis zur 16-jährigen Theresa, die seinerzeit selbst als Fünfjährige im Chor mitzusingen begann.

Doch nicht nur das Heranwachsen der Mitwirkenden darf der Zuschauer miterleben. Auf der Bühne wächst Jakob – ebenso wie die Rolle von Esau doppelt besetzt – vom streitlustigen Kind zum gestandenen Mann heran, der seinen Bruder Esau schließlich sogar um Vergebung bitten kann. Die beiden zeitlichen Ebenen des Stücks sind geschickt miteinander verflochten und gehen nahtlos ineinander über.

Vier Kinder und Jugendliche im Chor-Sweatshirt lesen in der Gegenwart die Geschichte von Jakob in der Bibel und entdecken, wie spannend diese doch ist. Im selben Moment ist sie auch schon in vollem Gange und ansprechend in Szene gesetzt. In historische Gewänder gekleidet entführen die Darsteller ins alte Kanaan und nach Mesopotamien.

Die Kinder und Jugendlichen erzählen in musikalisch abwechslungsreichen und textlich aussagekräftigen Liedern Jakobs Geschichte ebenso mitreißend wie im szenischen Spiel. Für ein warmes Linsengericht luchst Jakob seinem Bruder Esau in jungen Jahren dessen Erstgeburtsrecht ab. Später, kurz vor dem Tod seines Vaters Isaak, erschleicht sich Jakob – initiiert und tatkräftig unterstützt von seiner Mutter Rebekka – dessen Erstgeburtssegen. Isaaks Augen blicken blind ins Leere – eine hervorragende schauspielerische Leistung! Und ein Beispiel dafür, wie viele Details ein gelungenes Ganzes ergeben.

In einer weiteren Szene ist es das gefühlvoll gesungene Duett, in dem Rahel und Jakob einander ihre Liebe eingestehen. Deutlich hebt es sich von den Liedern des Chores ab, die – ebenfalls mit solistischen Einlagen – von rhythmisch flott bis getragen ruhig reichen und zum Mitsingen einladen.

Daneben öffnen Videoprojektionen technisch effektvoll den Blick in den Himmel und zeigen dabei eindrucksvoll Jakobs Kampf mit dem Engel. Danach gab es draußen vor der Kirche für alle eine warme Linsensuppe. Sein Erstgeburtsrecht musste niemand dafür verkaufen.