Symphonie Nr. 2 "Lobgesang" op. 52
von Felix Mendelssohn Bartholdy


Das lukrative Angebot der permanenten Leitung der Leipziger Gewandhauskonzerte, eine der höchsten Stellungen, die man damals in der deutschen Musikwelt erreichen konnte, war für Felix Mendelssohn Bartholdy der Grund für seine Entscheidung, nach Leipzig zu gehen. Mendelssohn blieb dort bis zu seiner Berufung als Kapellmeister in Berlin durch König Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1841. In seine ersten Leipziger Zeit, eine Zweite folgte von 1843 bis zu seinem Tod im Jahr 1847, fiel seine Hochzeit am 28. März 1837 mit Cécile Charlotte Sophie Jeanrenaud. Im Jahr 1839 erhielt er vom Rat der Stadt Leipzig den Auftrag einer Komposition, die anlässlich der Jubiläumsfeiern zum 400-jährigen Bestehen der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg erklingen sollte. So entstand 1839 bis 1840 mit dem Namen „Lobgesang“ die vorletzte der fünf Symphonien Mendelssohn Bartholdys, die am 25. Juni 1840 in der Leipziger Thomaskirche unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt wurde.

Mendelssohn nahm den „Lobgesang“ als Opus 52 in sein gezähltes Werk auf. Vorangegangen waren die „Italienische“, von der Mendelssohn nie eine gültige Fassung schuf, und die „Reformationssymphonie“, die er nach ihrer schlechten Rezeption selbst verwarf. Gedruckt lag lediglich die c-Moll Symphonie von 1828 vor, die der 19-jährige Mendelssohn als Übergang von seinen Jugendkompositionen zur großen Symphonie schrieb. Dass Menselssohn den „Lobgesang“ als seine erste, uneingeschränkt gültige, große Symphonie betrachtete und sie überaus selbst sehr schätzte, ist daraus abzuleiten, dass er sie unverzüglich nach Fertigstellung zum Druck gab und das Werk auch häufig mit durchaus großer positiver Resonanz aufführte. Mit der formalen Anlage des Lobgesangs entfernte sich Mendelssohn allerdings deutlich von der eigentlichen Gattungstradition.

Das Werk ist zweigeteilt und hat ein höchst eindrückliches, musikalisches Motiv zu den Worten „Alles was Odem hat, lobe den Herrn“ zum Hauptthema. Der erste, rein instrumental besetzte Teil besteht aus drei Sätzen. Die folgende Kantate lässt sich ebenfalls in drei Teile unterteilen. Mit dieser Mischform eines rein instrumentalen ersten und eines vokalen zweiten Teils betrat Mendelssohn Neuland, auch wenn Berlioz ein Jahr früher bereits eine „Symphonie für Chor und Orchester“ schrieb und abgesehen von Beethovens 9. Symphonie mit dem Schlusschor „Ode an die Freude“. Offensichtlich näherte sich Mendelssohn der Konzeption des Lobgesangs von zwei Seiten, der Symphonie mit drei charakteristischen Instrumentalsätzen und vom Oratorium. Mendelssohn entzog sich so den Vorbildern anderer, großer Komponisten symphonischer Werke und konnte unbelastet und frei komponieren. Übrigens vom Erfolg des Lobgesangs vermutlich ermuntert, griff Mendelssohn zwei Jahre später die liegengebliebene „Schottische Symphonie“ wieder auf und vollendete sie. Der Lobgesang ist allerdings eine Symphonie, der Mendelssohns Zeitgenossen und auch die Nachwelt allzu oft eine zu große Nähe zu Beethovens Neunter nachsagten. Und sie ist zugleich für Mendelssohn ein Schlüsselwerk, das instrumentale Musik und Kantate vereint und dabei bei höchster Form- und Gestaltungsvielfalt ein Höchstmaß an Einheit aufweist.

Der Lobgesang basiert auf dem 20. Psalm, zu dem Mendelssohn ein zentrales, musikalisches Hauptthema schuf. Mendelssohn stellte in dem Werk das Lob Gottes einerseits mit dem "Saitenspiel der Instrumente" und andererseits mit dem "Liede der Menschenstimmen" in besonderer Raffinesse dar. Alle Vokal- und Instrumentalstücke sind auf die Worte „Alles was Odem hat, lobe den Herrn“ komponiert. Dieses Grundthema ist buchstäblich „das A und O“ des Werkes. „Du verstehst schon“, schrieb damals Mendelssohn seinem Freund Karl Klingemann, „dass erst die Instrumente in ihrer Art loben, und dann der Chor und die einzelnen Stimmen“. Dass dieses Thema das ganze Werk von vorn bis hinten beherrscht. Es steht nicht nur am Anfang als instrumentelle Eröffnungsfanfare und kehrt zusammen mit „seinem Text“ im Eingangschor der Kantate und später erneut im Werkschluss wieder, es ist vielmehr auch die Leitidee, aus der fast alle Vokalpartien abgeleitet sind. So thematisiert das Orchester gleich zu Beginn des ersten Satzes (Maestoso – Allegro – Maestoso) im warmen B-Dur diese Leitidee.

So häufig das Leitthema im ganzen Werk auftaucht, so bedeutend ist auch sein Verschwinden. Im ersten Satz noch allgegenwärtig, reduziert es sich zum kaum hörbaren Bindeglied im zweiten Satz, das aus einem Scherzo in g-Moll und einem Instrumental-Choral in G-Dur gesetzt ist und in eine selige, melancholische Welt führt. Im dritten Satz erfährt die Leitidee eine diastematische Umkehrung. Der Wandlungsprozess im Instrumentalteil zielt darauf, dem Choreinsatz in der Kantate eine größere Wirkung zu verleihen. Die Symphonie lobt mit Saitenspiel in dreierlei Art. Die Kantate lobt dagegen mit Menschenstimmen und zwar mittels aller zur Verfügung stehenden Kunstformen, im freien Chor, im a-capella- und figurierten Choral, im Sologesang, Duett, Arie und Rezitativ. Stringent und vielschichtig ist deren Anordnung mit Chorblöcken als mehrfach gegliederte Rahmenteile, dazwischen die verschiedenen Formen der begleiteten oder unbegleiteten Individualstimmen und mit ihnen die Vision der Finsternis, aus der der Solotenor als Herold zuruft und aus der die Engelsstimme des Solosoprans („Die Nacht ist vergangen“) erlöst.

Die Vielschichtigkeit der Anlage verdeutlicht auch der große Jubelchor „Die Nacht ist vergangen“, der, nach B-Dur versetzt, durchaus als großes Finale hätte dienen können. Statt dessen folgt aber mit dem a-capella-Gemeindechoral „Nun danket alle Gott“ ein inniges Gebet. Statt Höhepunkt oder symphonisches Ziel eine Versenkung, so wie auch der Instrumentalchoral im 2. Satz. Tonart (beide G-Dur) und Position (beide am Anfang des letzten Abschnittsdrittels) dieser beiden Teile zeigen, dass sie, ohne thematisch miteinander verwandt zu sein, aufeinander bezogen sind. Dem Choral folgt jedoch nicht direkt der Schlusschor, sondern seine mit allen Instrumenten figurierte Wiederholung und ein Duett, Stimmen des Individuums von Mann und Frau, wie auch im I. Vokalteil (Nr. 2 und 3), nun aber nicht hintereinander, sondern mit „Drum sing ich mit meinem Liede ewig dein Lob“ im Duett vereint. Den Werkschluss eröffnet der Chorsatz „Ihr Völker, bringet her dem Herrn Ehre und Macht“, gefolgt von dem, was Anlass und symphonische Idee des Ganzen war: „Alles was Odem hat, lobe den Herrn". (BC)