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en frühbarocken Komponisten Augustin Pfleger nicht zu kennen muss wirklich niemanden verwundern. Seine ausgeprägt geringe Bekanntheit hat zwei hauptsächliche Ursachen. Zum einen sind von seinem durchaus respektablen Oeuvre nur wenige Werke jemals verlegt worden. Dementsprechend relativ selten sind Aufführungen seiner Kompositionen und dies, obwohl Pfleger musikhistorisch gesehen durchaus seinen Stellenwert zum Beispiel mit der hier zu besprechenden „Passio sive: Septem verba Christi in cruce pendentis“ (Passionsmusik: Sieben letzte Worte Christi am Kreuz) hat. Zum anderen ist von Pflegers Leben wenig bekannt.

Pfleger ist böhmischer Herkunft und wahrscheinlich 1635 im damaligen Schlackenwerth (heute: Ostrov) im Distrikt Karlsbad (Karlovy Vary Distrikt) der heutigen tschechischen Republik geboren. Dort starb er auch im Jahr 1686. Aus Johann Mollers Veröffentlichung „Isagoge ad Historiam Ducatuum Slesvicensis & Holsatici“ und der „Cimbria literata“ (1744) des gleichen Autors ist überliefert, dass Pfleger im Jahr 1665 als Fürstlich Holstein-Gottorfischer Kapellmeister am Hofe Christian Albrechts im Schloss Gottorf (Bild) angestellt war. Davor muss Pfleger in den fünfziger Jahren in der Hofkapelle des Herzogs zu Mecklenburg-Güstrow gewirkt haben. 1681 kehrte Pfleger nach seiner Gottorfer Tätigkeit wieder als Kapellmeister nach Güstrow zurück, um die Nachfolge von Daniel Danielis anzutreten. Aus der damaligen Verbreitung seiner Werke lässt sich schließen, dass sich Pfleger als Gottorfischer Hofkapellmeister eines hohen Ansehens erfreut haben muss. Nicht selten erhielt Pfleger durchaus ehrenvolle Kompositionsaufträge. Sowohl in der Berliner Staatsbibliothek, als auch in der Universitätsbibliothek Upsala sind Pflegers Werke überliefert. Dazu fanden Pflegers Werke in Norddeutschland in Form von Abschriften eine weite Verbreitung.

Pflegers „Die sieben letzten Worte Christi am Kreuz“ muss in seiner Gottorfischer Zeit um 1670 entstanden sein. Die kleine, ausdruckserfüllte Passionsvertonung zeigt Pfleger als bedeutenden Vertreter des monodisch-konzertanten Kirchenmusikstils (Monodie: Sologesang mit Generalbassbegleitung). Besonders der Einleitungsdialog „Ach, dass ich Wassers genug hätte in meinem Haupte“ kommt Heinrich Schütz’ expressive Textauslegung sehr nahe und weist zudem auf den leidenschaftlich-dramatischen Rezitationsstil des Italieners Giacomo Carissimi (1605-1674) und Luigi Rossi (1598-1653) hin. Möglicherweise hat Pfleger auch Selles Johannes-Passion gekannt. Wie Selle beschließt Pfleger seine kleine Passion mit einem Choralkonzert über den Passionschoral „O Lamm Gottes unschuldig“. Zweifellos war Pflegers Komposition für einen Karfreitagsgottesdienst gedacht. Sie hat alle Merkmale der oratorischen Passion und zeigt zugleich die Entwicklung dieser Gattung aus der responsoralen Passion und der Dialogkomposition. Mit der oratorischen Passion hat Pflegers Passion die klassische Rollenverteilung der Stimmen gemein. So trägt der 1. Tenor den Text des Evangelisten vor, der Part des 2. Tenors umfasst die Texte der Soliloquenten (Pilatus und der „gute“ Übeltäter) während die Vox Christi dem Bass zugeordnet ist und die Forderung der Juden „Schreibe nicht: Der Juden König“ ist dem Chor vorbehalten. Im Part des Evangelisten sind Anklänge an den Lektionston erkennbar.

Die mehrteilige Einleitung ist ein Dialog zwischen dem Sopran in der Rolle einer allegorischen Figur und dem Bass als Christus. Für die Einleitung verwendete Pfleger eine Textstelle aus dem Alten Testament (Jeremia 9,1), die der „Tochter Jerusalems“ in den Mund gelegt und mittels frei abgeändertem Schluss „...beweinen möchte Jesum den Gekreuzigten“ auf die Leidensgeschichte bezogen wird. Im folgenden Abschnitt trägt der Bass das Christuswort „Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich...“ aus dem Lukas-Evangelium (LK23,28). Prägnant ist das Hinzutreten der beiden Violen, das die Bedeutung der Basspartie unterstreicht und durch diese instrumentale Klangfärbung eine Abgrenzung von anderen Singstimmen bewirkt. Im weiteren Verlauf der Einleitung tritt der Sopran alternierend mit dem Bass in einen Dialog. Bemerkenswert ist, dass die sieben letzten Worte Christi am Kreuz nicht den inhaltlichen Mittelpunkt in Pflegers Passion bilden, denn neben den sieben Szenen um die Reden Christi tritt nach dem ersten Wort, durch die Beteiligung des Chores besonders hervorgehoben, gleichberechtigt die Episode mit der Kreuzesinschrift. Zusammen mit dem groß angelegten Eingangsteil und dem Schlusschoral ergibt sich so eine Zehnteiligkeit.

Die Abschnitte im Hauptteil werden durch liedhafte Strophen, die in ihrem Duktus dem protestantischen Gemeindechoral nachempfunden sind, abgeschlossen. Die beiden Stimmen werden in diesen Arien zumeist in Terzen, an wenigen Stellen auch in Sexten parallel geführt. Die Kreuzesworte stehen in derselben Reihenfolge wie bei Schütz und somit das Wort an die Mutter an zweiter Stelle. Die Deklamation des Basses ist schlicht, der Text wird in ruhiger Rhythmik syllabisch vorgetragen als ein Zeichen göttlicher Erhabenheit und weltfremder Größe des Erlösers. Eine Ausnahme macht, wie bei anderen Komponisten auch, die Vertonung des Rufes „Eli“, dessen Gesangslinie in zwei Schritten den Umfang einer Oktave überschreitet. Dazu gestalten die Violen in relativ hoher Lage eine Art Gloriole und der Instrumentalbass wird einzig an dieser Stelle unabhängig von der Singstimme geführt und bildet mit dem jeweiligen Grundton das Fundament der Gloriole.

Das fünfte Wort „Mich dürstet“ hat Pfleger syllabisch mit einer Halbtonausweichung nach oben vertont, mit der die Qual des leidenden Heilands ausgedrückt wird. Die Überleitung zum sechsten Wort enthält zwei Besonderheiten. Zum einen vertont Pfleger, wie übrigens auch bei Schütz, ein fehlerhaftes Evangelienzitat: „...und füllet ihn mit Essig und Isopen“ . Zum anderen unterbricht Pfleger den fortlaufenden Text des Evangelisten nach dem Passus „und tränket ihn“ mit einem wenige Takte umfassenden Zwischenspiel der Violen mit Seufzermotiven und einem unerwarteten Schluss im Dur-Dreiklang, der die Überwindung des Leidens Christi durch den Triumph „Es ist vollbracht“ bereits vorzeichnet.

Als Konklusion verwendet Pfleger den protestantischen Choral „O Lamm Gottes, unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet“ von Nikolaus Decius (1522) in einer phrygischen Fassung. Der Solo-Sopran trägt vom Generalbass begleitet die erste Choralzeile vor. Der dreistimmige Chor wiederholt diese mit unveränderter Melodie in der Oberstimme. Allerdings wird der Satz mit den selbstständig geführten Violen zur Fünfstimmigkeit geweitet. Bei den Bitten „Erbarme dich unser, o Jesus“ und „Gib uns deinen Frieden, o Jesus“ wird der Chor um eine weitere Diskantstimme erweitert, die in Unterterzparallelen zur Melodie geführt wird. Mit der Aufnahme des eingedeutschten „Agnus dei“ bindet Pfleger im besinnlichen Ausklang seine Passion in die gottesdienstliche Handlung ein.